In den kommenden drei Wochen will Jürgen Möllemann (FDP)
rund 80 Mal über deutschen Feriengebieten abspringen. Es
wird uns kein Tourist entgehen, drohte Möllemann (Zitat
lt. Spiegel online vom 5.8.).
Kommentar Karl Born:
Ob man sich auf Politiker verlassen kann, ist eine häufig
gestellte Frage, besonders in der aktuellen Vorwahl-Diskussion.
Generell möchte man diese Frage mit "Nein" beantworten.
Wenn es aber um das Thema Reisen ging, dann war in
der Vergangenheit auf unsere Politiker (unabhängig von der
politischen Richtung) eigentlich immer Verlaß. Um zu sehen,
wie afrikanische Länder ihre Verkehrsprobleme lösen,
wie in Südamerika mit der Bildungspolitik umgegangen wird
oder wie Australien das Liebesleben der Kängurus regelt,
unsere Politiker wollten darüber nie nur theoretisch informiert
werden, sondern, wissensbegierig wie sie erfreulicherweise sind,
sich alles auch genau vor Ort ansehen. Und so kennen wir diese
Bilder, wie unsere Berliner Heroen vor der Skyline von Sydney
stehen, beschäftigt am Copacabana- Strand entlanggehen oder
in den Nationalparks Afrikas nach Verkehr suchen. Und neben der
Bestätigung, dass unseren Gewählten kein Weg zu weit
ist (die Bonusmeilen lassen grüßen), war es für
das gemeine Volk auch immer Anreiz, diese Orte ebenfalls zu besuchen.
Vor diesem Hintergrund wurden die Deutschen zum Reiseweltmeister.
Einige, besonders herausgehobene Politiker, verwendeten sogar
ihren privaten Urlaub dafür, um vor der Fahne deutscher Reiseveranstalter
zu posieren. Glückliche deutsche Reiseindustrie!
Ausgerechnet in diesem schwierigen Jahr 2002, wo die Touristik-Industrie
die Hilfe der Politiker dringender benötigt als je zuvor,
werden sie von der Politik im Stich gelassen.
Beispiel 1: Unser lieber Kanzler Gerhard Schröder. Wir haben
ihn immer für einen echten Freund der deutschen Reiseveranstalter
gehalten, aber was macht er dieses Jahr? Er bleibt zuhause. Schlimm
genug, dass es keine Bilder von Positano oder von anderen herrlichen
südländischen Urlaubsorten gab, um unser Fernweh anzuheizen,
er setzt noch einen drauf und lässt sich beim Heckenschneiden
vor dem eigenen Haus fotografieren. Das Volk, das ihn liebt, macht
sich dies sofort als neuen Trend zu eigen. Laßt uns dieses
Jahr den Schröder machen und zu Hause bleiben,
wurde zur neuen Parole, auch in jenen Familien, die keine Hecke
zu schneiden hatten.
Beispiel 2: Der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt
Beck, berichtet über seinen Urlaub auf Mallorca. Im Prinzip
war es schön, dass er dorthin gereist war, denn damit konnte
der bisherige Rückgang deutscher Urlauber auf Mallorca von
ca. 500.000 gegenüber Vorjahr etwas vermindert werden. Die
Motive für seinen Mallorca-Urlaub sind nicht näher bekannt,
wahrscheinlich wollte er großem Trubel ausweichen und etwas
alleine sein. Im Jahr 2000 ging man, wenn man alleine sein wollte
auf die EXPO, in diesem Jahr geht man aus dem gleichen Grund nach
Mallorca! Soweit so gut, wenn er seine dortigen Erlebnisse für
sich behalten hätte. Nein, er muss laut tönen, dass
sein Bier am Strand sechs Euro kostete (was kostet eigentlich
ein Bier bei Veranstaltungen von MCC und MCV?). Darüber hinaus
beklagte er sich: Wenn man in einem 5- Sterne-Hotel bei
Regen ankommt, und es dauert sehr lange, bis man die Koffer in
die Halle getragen hat, dann fragt man sich schon, wie es um die
Gastfreundschaft und den Service steht. Doppelfehler, lieber
Herr Beck. Erstens hat er damit verraten, dass es auf Mallorca
ebenfalls regnet, was somit auch noch jene erfahren haben, die
in letzter Zeit kein TV schauten und zweitens hat er offenbar
gemacht, dass sich die Servicequalität auf der Insel proportional
zum Rückgang der Touristen verringert hat. Überrascht
hat nur, dass dieser hohe Qualitätsanspruch von jemand kam,
der als Verwaltungsratsvorsitzender das ZDF zu verantworten hat.
Beispiel 3: Der CSU-Abgeordnete Hinsken, gleichzeitig Vorsitzender
des Bundestagsausschusses für Tourismus und somit per Definition
Freund des Tourismus. Aus diesem Freund-Verhältnis
kommt der Spruch: Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde
mehr. Er lässt sich in der heißen Urlaubsphase darüber
aus, dass viele Betriebe nur zur Hälfte ausgelastet
seien. Damit weiß auch der letzte Urlauber, dass er
sich dieses Jahr nicht schämen muss, wenn er auf seine Auslandsreise
verzichtet, sondern er sich in bester Gesellschaft befindet, wenn
er überhaupt keine Urlaubsreise unternimmt. Hinskens Nachsatz
in jenem Interview die (deutschen) Unternehmen müssen
die Qualität der Angebote verbessern, bestätigte
dann auch noch, dass die Nicht-Reise genau die richtige Entscheidung
war.
Beispiel 4: Jürgen Möllemann. Wer jetzt noch den Leichtsinn
begehen sollte, trotz aller Warnungen in Urlaub zu fahren, dem
droht in den nächsten Wochen die Höchststrafe: Jürgen
Möllemann will 80 mal mit dem Fallschirm abspringen, "damit
ihm kein Tourist entgeht". Schlimmer konnte es wahrlich nicht
kommen. Spätestens jetzt sollten die deutschen Reiseveranstalter
das Touristikjahr 2002 endgültig als verloren abhaken.
Nachtrag: Eine rühmliche Ausnahme machen dieses
Jahr die Grünen. Waren sie früher noch eine Gefahr für
den Tourismus, weil sie Auslands-Urlaubsreisen verteufelten und
Steuerbelastung für Flugbenzin forderten, gehen Sie dieses
Jahr, was Fliegen betrifft, mit gutem Beispiel voran. Eine schönere
Promotion z.B. für Thailand hat man schon lange nicht gesehen.
Liebe Grüne, lasst euch dieses Tourismus-Engagement nicht
durch die BILD-Zeitung vergällen. Und wenn die Bonusmeilen
alle sind, helfen bestimmt TUI und Thomas Cook aus. Ihr habt es
Euch verdient.
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