BBB-Newsletter: jede Woche "Bissiges" per email (Info)

Zur Anmeldung

Borns "bissige" Bemerkungen ist die montägliche Kolumne rund um das aktuelle Geschehen in der Welt, speziell in der Tourismuswirtschaft. BBB erscheint seit März 2001 jeden Montag auf diesen Webseiten und als kostenloser email-Newsletter. Im Archiv finden Sie 300 weitere Kommentare zu den verschiedensten Themen und Anlässen.

[ Archiv ] - [ Suche ] - [ aktuelle BBB ] - [ Ihr Thema ] - [ XML ]

Bücher von oder mit Beiträgen von Karl Born: Abschied von der Spassgesellschaft | Der integrierte Touristikkonzern | Kundenorientierung im Touristikmanagement | Kundenmanagement als Erfolgsfaktor


12.05.2003 Der Discount-Vorstand


Jetzt hat TUI richtig aufgedreht. Zuerst mit „STOP & GO“ eine Woche Kroatien für 9 Euro, dann die neue Marke „Discount Travel“ in die Welt gesetzt, mit der man möglichst wenig Gäste und Umsatz generieren will (Originalzitat!) und als krönender Abschluss noch zwei Vorstände vor die Tür gesetzt.
Chaos als Basis für Managemententscheidungen?

Kommentar Karl Born:

Als TUI-Chef Michael Frenzel erstmals die neue Billig-Strategie der TUI ankündigte, und dies ausgerechnet vor den „Tollen Tagen“, glaubten einige an einen Faschingsscherz (siehe BBB Helau und Alaaf vom 03.03.2003). Inzwischen wurde die Ankündigung wahr gemacht.

Der erste Knaller (Knallerbse?) war die Schaffung von „STOP & GO“. Den Namen kennen wir aus der Formel 1, als Strafe für zu schnelles Fahren. Analog dazu werden viele TUI-Kunden dieses Angebot auch als Strafe für zu schnelles (frühes) Buchen von Kroatien aufgefasst haben. Das neueste „STOP & GO“ Angebot heißt: Vier Tage Bayern mit Golfkurs und Golfausrüstung für 479 Euro. Lassen wir dahingestellt, inwieweit Zielgruppe und Angebot zusammenpassen, jedenfalls sollen schon die ersten Anfragen vorliegen, ob man nicht die Golfausrüstung für 479 Euro kaufen und auf die Reise verzichten könnte.

Wesentlich gravierender ist die Einführung der neuen Marke „Discount Travel“, preislich unterhalb von 1-2-fly positioniert, das ursprünglich als firewall gegen die Billiganbieter dienen sollte, bevor vor etwa zwei Jahren unverständlicherweise (auf Controller-Geheiß?) das Preisniveau nach oben und die Kundenanzahl bei 1-2-fly nach unten ging.
Eigentlich sollte „Discount Travel“ das Thomas Cook-Pendant „Bucher-Reisen“ erschrecken. Aber Günter Geske hatte das Original inzwischen wesentlich konsequenter weiterentwickelt. So erschreckte sich vor allem der TUI-Smiley aus Angst um den TUI-Markenkern.
Aber der TUI-Smiley bekam sofort Baldrian mit der Aussage, „dass Discount Travel möglichst wenig Gäste und Umsatz generieren sollte, am besten gar keine“. Ähnlich hatte Eisenreich damals bei Übernahme von FTI argumentiert: „Wir werden die Gästezahl runterfahren. Je weniger Gäste wir haben, desto geringer ist der Verlust.“

Nicht auf der so gerne propagierten Welle von Aldi und „Geiz ist geil“, liegt die Aussage „bei Discount Travel gibt es keine Geld-zurück-Garantie“. Abgesehen davon, dass die „Geld-zurück-Garantie“ der TUI (für ein gutes Unternehmen eigentlich selbstverständlich) fast keine Kosten verursacht, ist hier offensichtlich verborgen geblieben, dass für den modernen Verbraucher „Billig“ und „Qualität“ kein Gegensatz mehr ist. Die frühere Maxime von Neckermann und anderen Preiswertanbietern „value for money“ heißt heute für die Kunden von Aldi und Media Markt „More quality for less money“. Demzufolge sind die Garantieaussagen von Aldi, Media Markt und Saturn auch entsprechend vorbildlich.

Einmal auf der Discount-Welle, hat der TUI-Vorstand den Werbespruch von Discount Travel auch auf sich selbst angewandt: „Jetzt geht Rest“ (Zitat aus HAZ). Präziser könnte man es formulieren: „Jetzt geht der Rest, der nicht von Preussag stammt“. Damit wurden alle Vorbehalte und Vorurteile der TUI-Mitarbeiter gegen Preussag voll bestätigt.

Diese Entscheidung hat (wie immer) eine menschliche und eine strategische Komponente. Zur menschlichen gehört, dass Dr. Corsten jetzt zwei Erfahrungen gesammelt hat. Erstens: Wer wie Corsten (Spitzname: Der sanfte Killer) viele seiner Weggefährten wegbeißt, steht am entscheidenden Schluss ziemlich alleine da. Zweitens: Je später man widerspricht, desto geringer ist die persönliche Alternative.
Noch einfacher ist die Beurteilung des Abgangs von Gurassa. Die Briten sind zwar die Erfinder des modernen Tourismus, aber so viel anders als früher reisen sie auch heute nicht (So wie die Briten auch die Erfinder des Fußballs sind, aber niemand auf dem Kontinent heute „kick and rush“ spielt.). Insofern zeigt die mehrfache Übertragung englischen Tourismusdenkens 1:1 auf Deutschland nicht nur einen Mangel an Kreativität, sondern auch, dass man sich zuwenig mit dem eigentlichen Problem beschäftigt hat. Kurzum, der Abgang von Gurassa hinterlässt eine Lücke, die ihn wahrscheinlich vollständig ersetzen wird. Bleibt nur zu hoffen, dass es seinem deutschen Baby HLX besser ergeht als seinem früheren englischen Billigflieger-Baby GO.

Viel entscheidender ist die strategische Aussage, die mit dieser Entscheidung verbunden ist. Der Vorstand eines Reiseunternehmers ohne touristischen Experten, ist wie ein Automobilunternehmen ohne Technikvorstand. Noch besser wäre allerdings gewesen, jetzt, in der Zeit des größten Nachfragerückgangs der Tourismusgeschichte, einen Marketingexperten in den Vorstand aufzunehmen. Der evtl. Einwand, dass Marketing und Vertrieb in der darunter liegenden Ebene vertreten sei, steht im Widerspruch zur kürzlichen Budgetvergabe an die Marketingagentur Jung von Matt/DBB, die gerade unter dem internationalen Gesichtspunkt eine multinationale Plattform aufbauen soll.

Die TUI-Vorstandsentscheidung zeigt, dass man einseitig auf Sanieren setzen will. Wie sagte vor kurzem einer der wenigen Management-Hoffnungsträger dieser Republik, Dr. Claassen (neuer Chef von EnBW, vorher Satorius): Man kann defensiv sanieren (dann ist bald nichts mehr übrig zum sanieren) oder offensiv sanieren durch Innovation und neue Marketingkonzepte.
Wer die touristische Plattform dem Controller anvertraut, zeigt, dass er defensiv spielen will und nicht offensiv. Kein Automobilunternehmen würde die dringende Neuausrichtung einem ausgewiesenen Radfahrer anvertrauen (dies ist nicht persönlich gemeint, sondern nur hinsichtlich der Vertrautheit mit den Verkehrsmitteln).
Gerade die erfolgreichen Töchter der TUI wie z.B. „l`tur“ oder „Berge und Meer“ sind offensiv und schnell und deshalb, nur deshalb, erfolgreich. Und die Branchenerfahrung dieser Manager hat sicherlich auch nicht geschadet.

Es gibt jedenfalls kein weiteres DAX-Unternehmen, in dem im Vorstand diese drei Elemente gleichzeitig fehlen: 1.) Kein Vorstandsmitglied stammt aus der Branche 2.) Es gibt keinen Produktions- oder Technikvorstand 3.) Es gibt keinen Marketingvorstand.

In einer Personalentscheidung war man allerdings sehr inkonsequent. Als neuen Chef des Bereiches „TUI Hotels & Resorts“ wurde ein ausgewiesener Experte für diese Aufgabe ernannt, nämlich der bisherige Robinson-Chef Karl Pojer (herzlichen Glückwunsch). Systemimmanent wäre die Entscheidung für einen, sagen wir beispielsweise früheren Controller für Bohrinseln gewesen.

Da die „Bissigen Bemerkungen“ wohlwollender sind als ihr Name sagt, setzen sie ein dickes Fragezeichen, was die Erfolgsaussichten dieses strategischen Ansatzes betrifft. Andere, die nicht so feinfühlend sind, wie beispielsweise die Wirtschaftspresse, haben bereits ein gnadenloses Negativurteil ausgesprochen. Selbst jene, die sonst immer alles etwas später verstehen, wie die Analysten, haben sofort negativ reagiert.

Ebenso sauer hat auch die Konkurrenz reagiert. Die in letzter Zeit einseitige Forcierung des Billigsegmentes durch TUI (ohne gleichzeitig einen nachhaltigen Input für die Hauptmarke TUI zu geben), ist nicht nur Reaktion auf einen Trend, sondern kräftige Anheizung dieses Trends. Die Wertvorstellung des Verbrauchers für das Produkt Reise geht vollständig verloren (wird zur „Krabbeltischware“, wie ein Verbandsfunktionär richtig meinte). Dies hat Auswirkungen nicht nur auf TUI, sondern auf die gesamte Branche.



SUCHE