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13.01.2002 - Zwischen Kassel und Hanau eine Falle gestellt


Im ICE, kurz hinter Kassel, greift der scheinbar seriöse Manager zu seinem Mobiltelefon. In mehreren Telefongesprächen, offensichtlich mit verschiedenen Vorstandskollegen, beginnt er eine Intrige gegen den Vertriebsvorstand zu spinnen. Bald hat er die Mehrheit hinter sich. Es folgt ein Gespräch mit dem potenziellen Nachfolger. Für Sonntagnachmittag soll die Sekretärin ein Treffen mit dem Aufsichtsrat vereinbaren. In Hanau steigt er zufrieden aus. So kann man 70 Minuten Zugfahrt effektiv nutzen (und Mitreisende wegen Zuhören von der Arbeit abhalten).

Kommentar Karl Born:

Eine Bahnfahrt ist, seit es Mobiltelefone gibt, immer wieder eine Quelle (fast gezwungenermaßen) Neues über seine Mitmenschen zu erfahren. Da sitzt ein scheinbar seriöser Manager an seinem Platz, nicht wie üblich mit dem Laptop arbeitend oder in ausgebreiteten Akten wühlend, sondern Löcher in die Luft schauend. Kurz hinter Kassel scheint sein Plan gereift. Hektisches Telefonieren beginnt. Aus dem Gesagten ist zu folgern, dass er wahrscheinlich der Vorstandsvorsitzende einer Firma ist. Geben wir ihm für den weiteren Bericht der Einfachheit halber den Codename „Intrigant“.

Unser „Intrigant“ beginnt das erste Gespräch mit dem in Deutschland unter Managern üblichen Eröffnungssatz „Die Zahlen sind schlecht“, was vom Gesprächspartner wohl nicht bestritten wird. Sofort wird nachgelegt: „In der Bank wird man unruhig“. Auch dieser Satz gehört inzwischen zum Manager-Standardrepertoire. „Schuld an der schlechten Lage ist der Vertriebsvorstand“, lässt er jetzt die Katze aus dem Sack. Der Gesprächspartner ist sich dieser Sache wohl nicht so sicher. Also muss unser „Intrigant“ deutlicher werden. „Wenn es nicht der Vertriebsvorstand ist, könnte sehr schnell die Frage gestellt werden: Wer sonst?“ Damit war wohl dem Gesprächspartner deutlich geworden: Jetzt ist die „Reise nach Jerusalem“*) gestartet.

Nächstes Gespräch, im Prinzip gleicher Inhalt, aber man ist sich schneller einig über die Konsequenz. Vom Gesprächspartner kommt wohl die Frage „Wie stellt man es an“. Dafür hat der „Intrigant“ bereits einen ausgereiften Plan. „Am Samstag ist Tagung des Außendienstes. Ich bin eingeladen. Ich werde nachhaltig auf die schlechten Zahlen hinweisen und grundsätzlich die gesamte Vertriebskonzeption in Frage stellen. Der Außendienst wird diese Diskussion hinaus tragen, damit ist der Vertriebsvorstand erledigt.“ Kompliment. Auch die Intrige will gelernt sein. Der Gesprächspartner bringt noch den Aufsichtsrat ins Spiel und wie dieser reagieren wird. Kein Problem für den "Intrigant": „Das lassen Sie mal meine Sorge sein, den Aufsichtsrat habe ich im Griff“. Soviel zum Thema Einzelverantwortung von Aufsichtsratsmitglieder.

Drittes Gespräch, mit ihm war die Sache wohl schon vorbesprochen. Hier ging es konkret um einen externen Bewerber. Man hält ihn für exzellent, aber er hat nicht realisierbare Vorstellungen hinsichtlich seines Dienstwagens. Der Gesprächspartner meinte wohl entschuldigend: Der Bewerber sei eben ein Autofreak. Der „Intrigant“ hat sich allerdings schon entschieden: „Für mich zeigt es, dass er die Prioritäten nicht richtig setzen kann.“

Im vierten Gespräch wird bei der Sekretärin rückgefragt, ob wer immer sich gemeldet habe und außerdem solle sie sich bereit halten, weil noch wichtige Terminvereinbarungen getroffen werden müssen.

Im fünften Gespräch wird offensichtlich der potenzielle interne Nachfolger angerufen. Könnte vielleicht der Stellvertreter sein. Er wird motiviert am Samstag Leistung zu zeigen. Der hat entweder noch etwas Skrupel oder er hält sich taktisch zurück. Das materielle Angebot an ihn, das ihm wohl schon in einem früheren Gespräch angedeutet wurde, scheint nicht sensationell zu sein. Konkret gibt es anscheinend nicht viel mehr Geld zum Anfang und die Kompetenzen sollen nach außen auch nicht so umfangreich sein, wie die des Vorgängers. Der „Intrigant“ wie immer listig: „Aber intern haben Sie natürlich alle Vollmachten und das Vertragliche wird innerhalb eines Jahres zur Zufriedenheit geregelt.“

Danach wird wieder die Sekretärin angerufen. Sie möge für Sonntagnachmittag einen Termin mit dem AR vereinbaren.

Schade, dass nicht erkennbar war, wer der letzte Angerufene war. Ihn fragt der „Intrigant“: „Kannst Du mich am Samstag zur Außendienstleitertagung fahren. Der Vertriebsvorstand wird abgeschossen. Da kannst Du mit ansehen, wie man so etwas macht.“ Der Angerufene gibt ihm aber einen Korb, er hat etwas anderes vor und das scheint etwas sehr nettes zu sein. Der „Intrigant“ akzeptiert mit etwas Neid im Unterton: „Natürlich, verstehe ich. Wenn ich die Wahl hätte?“ Nach Claqueren muss er noch etwas weitersuchen.

Hanau wird angekündigt. Der „Intrigant“ atmet tief durch und packt sein Gepäck zusammen. 70 Minuten hat er gebraucht. Er ist stolz auf sich. Er hat seine ganze Managerhärte gezeigt und wahrscheinlich (vorerst) seinen eigenen Kopf gerettet.

Manchmal ist es im ICE noch kälter als draußen.

PS 1: Es handelte sich um kein Unternehmen aus der Touristik. Schauen Sie doch diese Woche mal im Wirtschaftsteil der Zeitungen nach, wer am letzten Samstag Außendiensttagung hatte und wo der Vertriebsvorstand gefeuert wurde.

PS 2: Wiederum wurde die These eines Kreuzfahrtkapitäns bestätigt: Warum werden Top-Manager, sollten sie ins Meer fallen, nicht von Haien gefressen? Das ist Höflichkeit unter Kollegen.

PS 3: Wirtschaftsjournalisten sollten viel öfter mit dem ICE fahren und die Ohren spitzen.


*) Bekanntes Kinderspiel bei dem immer ein Stuhl weniger da ist, als Anzahl Spielteilnehmer.



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