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16.5.2004 Tote kann man nicht reanimieren


TUI hat sich zum 1.5.2004 an einem virtuellen Reiseveranstalter beteiligt. Er soll den touristischen Traditionsnamen Touropa bekommen. Dieser Veranstaltername wurde anfangs der 50er Jahre etabliert und vor mehr als einem Jahrzehnt (Spöttischerweise könnte man sagen im letzten Jahrhundert) beerdigt.
Der umtriebige Ex-Versicherungs- und Ex-Lufthansamanager Adrian von Dörnberg möchte die ebenfalls schon vor einiger Zeit verblichene Marke Kreutzer-Reisen kaufen.
Die Thomas Cook AG denkt darüber nach, Thomas Cook-Airline wieder in Condor umzubenennen.
Alt ist man, wenn man mehr Freude an der Vergangenheit als an der Zukunft hat. Moderner wäre, alle drei Alt-Marken (vielleicht noch einige dazu) an Gunter von Hagen (oder an von Dörnberg) für „Touristische Körperwelten“ zu verkaufen.


Kommentar Karl Born:

Ein Sprichwort sagt: „Kalten Kaffee und eine alte Liebe soll man nicht aufwärmen.“ Das gleiche gilt für vor längerer Zeit verstorbene Marken. Diese sind so tot, dass man sie nicht mehr reanimieren kann. Marken sind virtuelle Gebilde, die nur in den Köpfen der Verbraucher bestehen und durch permanenten Kauf bestätigt werden müssen.
Sind sie erst vom Markt verschwunden, haben sie eine extrem geringe Halbwertzeit.
Gemeinhin wird nostalgisch überschätzt, wie viel Erinnerung nach Jahren noch in den Köpfen der Verbraucher ist (siehe vor Jahren die Wiederbelebung von Dr. Tigges). Besonders problematisch wird es, wenn dann die Alt-Marke noch mit anderem (fast gegensätzlichem) Inhalt gefüllt werden soll, wie es insbesondere bei Touropa und Condor der Fall sein wird, dann ist der Rest-Erinnerungswert sogar von Nachteil.

Aber, seit die Reisemanager höchst persönlich die Bezeichnung „Pauschalreise“ ins Museum der Touristikgeschichte gestellt haben und die Kommunikation über deren Vorteile gleich als Fußnote dazu, wird verzweifelt nach Ersatz gesucht. Von „flexibler Bausteinreise“ über „vorgefertigte Reise“ zu „individueller Reisezusammensetzung“ oder „Veranstalterreise“ gab es einige Versuche, die aber alle gemein hatten, dass sie genauso alt wie „Pauschalreise“ klangen.

„Dynamic packaging“ passte da schon besser in die Neuzeit. Obwohl Thomas Cook-Vorstand Dr. Fankhauser mit recht dazu anmerkte: „Man müsse vor Portalen, die mit dynamic packaging werben und kaum wissen wie man das Wort Veranstalter schreibt, nicht in Ehrfurcht erstarren.“ Manches Reisebüro merkte dann auch schnell, dass es schon längere Zeit „Dynamic Packaging machte“, aber nicht wusste, dass es so heißt.

Also musste es noch mehr geben. Einer der ersten, die mit „moderner“ an die Öffentlichkeit gingen, war der damalige Vorstandsvorsitzende von C&N (heute Thomas Cook), Stefan Pichler, der in einem auch aus heutiger Sicht bemerkenswerten Vortrag am 4.12.2000 (!) an der Uni Mannheim vom „Projekt virtueller Veranstalter: Der Kunde steuert den Prozess“ sprach. Ausblick seines Vortrages: „Durch E-Leisure kommt der Kunde an die Macht.“ Leider mussten die Kunden (und nicht nur jene von Thomas Cook) feststellen, dass es ihnen wahrscheinlich wie Moses in der Bibel gehen wird: Die Verheißung vom gelobten Land vernehmen, aber den Einzug in das selbige leider nicht mehr selbst erleben zu dürfen.

Lustiger und Branchen-realistischer war da schon die zwei Jahre später zu lesende Nachricht, als Aeroworld GmbH Insolvenzantrag stellte. Damals äußerte sich die Muttergesellschaft Travel24.com „dass sie und die weiteren Töchter nicht berührt seien, das gesammelte know how und die Produkte selbst sollen künftig als virtueller Veranstalter verankert werden.“ Der virtuelle Veranstalter als Resteeimer der Touristik.

Letztlich fragt man sich, warum in einer Branche soviel Lärm um Namen ist, wenn sie ohnehin nur über den Preis verkauft.

Wie auch immer, der virtuelle Veranstalter mit seiner in „Echtzeit erfolgenden kundengerechten (?) Auswahl und Bündelung von Reisekomponenten aus unterschiedlichen Internetquellen und direkter Buchung im Internet“ wird zumindest die intellektuelle Szenerie beherrschen, angesichts der aktuellen „Look-to-book-Rate“ von 100:1 aber weniger die Buchungszahlen. So könnte dann auch sein, dass der Chef eines großen norddeutschen Veranstalters, der dieser Tage freudig proklamierte „wir fahren ganz vorne auf der Datenautobahn“ mit Blick in den Rückspiegel feststellt, dass leider nur wenige Kunden hinterherfahren.

So dürfen sich die Kunden auf eine Vielzahl unterschiedlicher virtueller Veranstalter freuen:
- den veranstaltergetriebenen, der primär die Teilleistungen aus seinem eigenen Hause kombiniert
- den hotelgetriebenen, der primär seine Betten anbietet, per Klick aber zusätzlich auf eine Flugdatenbank verlinkt,
- den fluggetriebenen, der primär seine Flugsitze anbietet, per Klick aber zusätzlich auf eine Hoteldatenbank verlinkt,
- den mietwagengetriebenen, der primär seine Autos anbietet, per Klick aber zusätzlich auf eine Hotel- und eine Flugdatenbank verlinkt,
- den internetgetriebenen, der nichts selbst anbietet, aber per Klick auf Hotel-, Flug- und Mietwagendatenbank verlinkt.
Bis dann der Kunde total erschöpft vor seinem PC mit der Feststellung zusammensinkt: „Ein Glück, dass ich verglichen habe, jetzt bin ich total verwirrt!“

Wenn L`tur-Chef Karlheinz Kögel auf der letzten DRV-Tagung sagte „2003 wird in die Geschichte eingehen als das Jahr der Orientierungslosigkeiten“, hat er sich leider ausnahmsweise geirrt. 2004 wird noch orientierungsloser werden.
Denn, wenn es um Verwirrung geht, hat die Touristik einen Platz ganz vorn.


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