Mallorca-Urlauber: der unverdiente Sündenbock am Pranger
Die Zahl der Corona-Infizierten steigt wieder. Der Regierung, oder besser gesagt den Regierungen von Bund und Bundesländern fällt es offensichtlich schwer, passende Antworten zu finden. Dabei scheint es auf der Hand zu liegen. Neben kritischen Wohn- bzw. Arbeitsverhältnisse, wo Verstöße gleich hohe Infiziertenzahlen bewirken, sind eine Vielzahl von Feiern zunehmend für regional Ausbrüche verantwortlich. Inwieweit Großdemonstrationen, zumeist vorsätzlich ohne Mund-/Nasenmasken, zu erhöhten Zahlen beitragen, ist statistisch noch nicht erwiesen.
Auf der Suche nach einfachen Erklärungen, möglichst auch im Zeitgeist liegend, bildet sich eine, nein d i e Gefahrenquelle schlechthin, heraus: der Mallorca-Urlauber. Alle Vorurteile werden da bedient. Auf Mallorca, (= Ballermann), saufen und singen die doch nur, die sollen alle nur Urlaub in Deutschland machen, der Flug ist ohnehin extrem ansteckungsgefährdend, die Reisebranche will nur schnell wieder Geld verdienen und vieles mehr. Das Böse ist definiert und wurde von der Regierung mit der Reisewarnung für Mallorca auch bedient.
Ich möchte ganz in Ruhe einen differenzierten Blick auf diese Entscheidung werfen:
1.Wenn in Deutschland mindestens sieben Tage lang mehr als 50 Infizierte pro 100.000 Einwohner festgestellt werden, sollen restriktive Maßnahmen, gemeint sind Lockerungen aufgehoben werden. Dieser Tatbestand liegt auch für Mallorca vor. Aber, in Deutschland wird aus politischen Gründen, der zu sperrende Bezirk sehr klein gehalten, keine Landkreise mehr, möglichst nur Stadtviertel, am besten sogar nur einzelne Wohnblöcke. Bei Anwendung dieser Regel hätte auch keine Reisewarnung für ganz Mallorca ausgesprochen werden dürfen. Im weit überwiegenden Teil der Insel gibt es teilweise überhaupt keine mit Corona Infizierten.
2.Bei den infizierten Urlaubsrückkehrern liegen die Rückkehrer aus den Balkanländern weit an der Spitze. Eigenartiger Weise werden diese Zahlen bislang nicht thematisiert. Infizierte lt. RKI aus der 29. bis 32. Woche: Kosovo 1.096, Türkei 501, Kroatien 260, alle deutlich mehr als Gesamt-Spanien in diesem Zeitraum (107!).
3.Wenn schon ein Beschluss über Tests für Rückkehrer gefasst wird, müsste auch die konsequente Umsetzung sichergestellt werden. In TXL werden offiziell um 21.00 Uhr die Teststellen geschlossen, auch wenn danach noch bis zu 3 Flüge aus Mallorca landen. Außerdem dauert es zulange, bis den Urlaubern die Ergebnisse mitgeteilt werden. Erstaunlicherweise geht es bei den zu testeten Fußballprofis viel schneller.
4.Aber, auch Mallorca muss sich an die eigene Nase fassen. Wenn die Lokale mit der Ballermann Adresse Schinkenstraße von der Inselverwaltung geschlossen werden, aber vier prominente Lokale sich direkt um die Ecke in der Seitenstraße einen neuen Eingang schaffen und das nicht sanktioniert wird, muss man an der Glaubwürdigkeit der Verantwortlichen zweifeln.
5.Mallorca muss dringend und sofort sicherstellen, dass die hohe Zahl der Infizierten unter den spanischen Festlandtouristen (offensichtlich viele Partytouristen) nachhaltig gesenkt wird.
Ich sehe die Gefahr, dass Mallorca als symbolischer Sündenbock herhalten muss, um von den Fehlern der Politik abzulenken: zu lange Dauer bis Testergebnisse vorliegen, Probleme bei Weiterleitung und Nachverfolgung von angeordneten Quarantänemaßnahmen (Bleistift und Papier wegen fehlender Digitalisierung), die soviel gepriesene CoronaApp floppt noch immer (das ist besonders peinlich weil sie angeblich die beste in Europa sein sollte), kein konsequentes Durchgreifen bei Feiern (egal aus welchem Anlass), falsche Genehmigungspolitik bei Großdemos, keine konsequente Bußgelder bei Verstößen gegen Maskenpflicht, und noch einiges mehr. Gegen Corona hilft nur Konsequenz oder anders, aber typisch formuliert: „wir haben ein Umsetzungsproblem“.
Wir ächzen unter Corona, Existenzen gehen kaputt und das große Unternehmenssterben kommt erst noch. Aber wir pflegen unseren Föderalismus. Wer kann verstehen, dass beispielsweise numerische Beschränkungen bei einem Bundesland um eine Person höher oder niedriger sein kann, als beim Nachbar-Bundesland.
Bleibt zuletzt die deutsche Tourismuswirtschaft selbst. Neben dem „managen“ der aktuellen Probleme, was offensichtlich nicht immer gelingt, muss gerade jetzt für das Thema „Urlaub/Tourismus“ eine Zukunftsperspektive aufgezeigt werden. Das ist eigentlich Aufgabe für den Branchenführer und den großen Reiseverband. In die Offensive gehen, siehe auch zuletzt das zu lange Warten in der Klimadiskussion. Sorry, wenn ich das schreibe, meine Hoffnung geht gegen Null, aber man wird ja noch träumen dürfen.
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