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Der „dumme“ Tourist (?)

Der Januar ist bekanntlich jener Monat, in dem viele Menschen hierzulande über Urlaub nachdenken und wiederum sehr viele von ihnen tatsächlich buchen. Ja, es gibt sie noch, Menschen die sich nach Urlaub sehnen und frühzeitig diesen buchen (übrigens buchen noch immer viel mehr Urlauber im Reisebüro als uns die Medien weismachen wollen).

Aber ab jetzt muss man täglich damit rechnen, über einen Artikel über „schreckliche Touristen“ zu stolpern. Natürlich wollen alle nur zum Sonnenbaden an den Strand, möglichst vor einem Hotel mit all inclusive, dabei nach Mängeln suchen, um sich zu beschweren und Geld zurück zu bekommen. Genau so einfach ist es (?).

Den Anfang machte an diesem Wochenende die WELT am SONNTAG. Da bekommt ein gewisser Henryk M. Broder zwei große Seiten um über „den Urlaub der anderen“ abzulästern. Insbesondere sein Beginn ist ganz große Klasse. Zitat: „Als ich das letzte Mal Urlaub machte, war ich 15, vielleicht auch 16. Ich durfte mit meinen Eltern nach Bad Kissingen (kann auch Bad Nauheim gewesen sein)“. Und dann wird kräftig draufgehauen, wie schrecklich das war. Um diese Ausführungen würdigen zu können, muss man wissen, dass Broder heute 68 Jahre alt ist. Kurzum, seine Urlaubserfahrungen sind nicht ganz „brandneu“, haben sich aber als Vorurteil 50 Jahre gehalten. Außerdem sollte man wissen, dass er ein renommierter Schriftsteller ist, viele Preise eingeheimst hat, aber auch immer umstritten war.

„Ich mache nie Urlaub“, so Broder weiter, „aber ich reise gern und bin jedes Jahr ca. sechs Monat unterwegs“. Solche Leute, die angeblich nie Urlaub machen, sind mir ehrlich gesagt suspekt. „Wenn ich das Wort Urlaub nur höre, bekomme ich Schüttelfrost“, liest man bei ihm in den nächsten Zeilen. Ehrlich, wenn ich so einen Mist (Höflichkeitsform von Sch…) lese, wird mir speiübel. Woher kommt diese Arroganz der „Intelligenz“ gegenüber Urlaubern? Vielleicht weil man sich nicht vorstellen kann, dass es Unzählige gibt, die hart arbeiten (und für wenig Geld), die keine Chance haben dienstlich durch die Welt zu reisen und irgendwo abends am Strand noch ein (oder zwei) Gläschen Wein trinken und Tapas essen (natürlich alles nur dienstlich und deshalb auch konsequenterweise auf Firmenkosten), sondern nur mal „Nichts“ tun wollen.

Und jetzt zur Krönung à la Broder: „Urlaub reduziert den Menschen auf Stückgut“, „sitzen stundenlang in engen Fliegern“, „Warum tun die Menschen sich so etwas an. Niemand verreist heute wie Gustav von Aschenbach , Hercule Poirot oder Phileas Fogg mit seinem Diener Passapartout“. Toll Herr Broder, da haben wir aber mal wieder gezeigt, was wir bildungsmäßig draufhaben. Ehrlich gesagt, scheitert es bei mir z.B. schon am fehlenden Diener. Und früher „bequem“ gereist, aber jetzt muss ich echt lachen.

Passenderweise, ebenfalls diesen Sonntag, hat auch Spiegel online etwas mit der Überschrift „Bloß kein Tourist sein“ zu bieten. Hier wird Holger Baldus, Geschäftsführer von Marco Polo, zitiert: „Genauso zu essen wie ein Einheimischer, das kommt an. In Old Delhi auf Plastikschemeln sitzen und die lokale Straßenküche ausprobieren. Zu Hause erzählen, wie man bei der kubanischen Familie in der Küche saß“. Toll, aber nur für eine Minderheit. Und diese Minderheit will auch gar nicht, dass jetzt alle so Urlaub machen. Wo würde die Abgrenzung bleiben? Gastbesuch in einem „echten“ Maya-Dorf in Mexiko, Teetrinken mit „echten Berbern“ in der Wüste oder Übernachten bei kubanischen Omis. Großartig authentisch, und das jede Woche im Angebot des mit der Zeit gehenden Anbieters. Und wenn es mehr Touristen wollen, macht es die Omi hauptamtlich (Airbnb lässt grüßen).
Ein Glück, dass im selben Artikel Prof. Reinhardt, vom Institut für Zukunftsfragen, seine „Inszenierte Authentizität“ anbringen kann. Exakt so ist es, jede Woche aufs Neue wird die „Authentizität inszeniert“. Da können wir gerne darüber diskutieren, ob das näher an „inszeniert“ oder näher an „authentisch“ ist.

Und jetzt noch eine Bemerkung zum Nachdenken zu Machu Pichu, Pyramiden, Taj Mahal, Venedig, Ayers Rock, Mitternachtssonne in Schweden, Safari in Afrika usw. Ist es nicht logisch, dass die interessantesten Plätze der Erde im touristischen Standardprogramm enthalten sind? Weil Generationen von Reisenden irgendwann festgestellt haben, dass dies das Tollste, Interessanteste ist, besonders aufregend.
Und die nachwachsende Urlaubergeneration darf jetzt nicht hin? Puh, Massentourismus?

Am meisten hat mich früher diese Frage gefreut: „Wo finde ich einen hoch interessanten Platz, den kein Tourist kennt?“. Mein Antwort damals: „Ja, was denn?“. Heute würde ich Per Mertesacker zitieren: „Ja was wollen Sie denn nun?“.

Zum Abschluss noch ein Zitat von Broder. 2005 schrieb er für Spiegel online u.a. er würde Island lieben, wegen der faktischen Abwesenheit seiner drei „Problemvölker“: keine Juden, keine Araber und nur ganz wenige Deutsche. Sehen Sie Herr Broder, ich mag alle vier (ihre „drei Problemvölker“ und Island).

Aber es gab auch Zeiten, da war ich nahe bei Henryk M. Broder. Das war in den 60er-Jahren, als er für das Erotikblatt St. Pauli-Nachrichten geschrieben hatte. Das fand ich, damals war ich so Mitte Zwanzig, hochinteressant. Merke: Das Triviale muss nicht immer grundsätzlich abgelehnt werden.

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