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Offener Brief eines deutschen Urlaubers an die Türkei

Liebe Türkei,

zuerst mein Beileid für die vielen Todesopfer am Wochenende. Jedes einzelne ist eines zu viel.

Liebe Türkei, ich möchte Dir schreiben, weil ich mir Sorgen mache um Deine Zukunft. Ich habe Dich geliebt als Urlaubsziel. Während Spanien immer mehr in Routine versank, warst Du frisch und hast mich verwöhnt.

Durch Deine großzügigen Hotelanlagen und insbesondere durch Deine großzügigen Zimmergrößen hast Du uns 3 bis 4-Sterne Urlaub zu einem 5-Sterne Feeling geboten. In den Hotels war immer mehr Personal vorhanden, als vergleichbar anderswo. Klar, war das den eingeschränkten Arbeitsbedingungen und schlechteren Gehältern bei Euch in der Türkei gegenüber anderen klassischen Urlaubsländern geschuldet. Aber wir deutsche Urlauber sehen da gerne darüber hinweg, im Urlaub sind wir keine Gewerkschaftler.

Und erst die Ausflüge bei Euch in den Basar. Was konnte man feilschen und wenn man am Ende trotzdem noch übertölpelt wurde, war das kein Problem. Das kennen wir von den Kaffeefahrten in Deutschland inklusive kritisch zu sehender Verkaufsveranstaltungen. Der reale Gegenwert ist für uns nie so wichtig, Hauptsache wir glauben ein Schnäppchen gemacht zu haben.

Was uns in den letzten Monaten Sorge bereitet hatte, war die Einstellung Eures Präsidenten zu den Menschenrechten im Land. Im Prinzip haben wir deutsche Urlauber hier eine einfache Einstellung, überall wo unsere Kanzlerin hinreist, dürfen wir Urlauber auch hinreisen. Und die Kanzlerin spricht bei diesen Besuchen ja auch das Thema Menschenrechte an. Wenn auch immer so leise, dass es kaum jemand hört. Aber zum Glück ist immer unser Regierungssprecher Seibert dabei, der hat so feine Ohren, dass er es trotzdem hört und uns davon berichten kann. Aber bei Erdogan war Merkels Auftreten von besonderer Art. Getrieben von dem unseligen Flüchtlingsdeal, wurde ihr Auftreten immer mehr zum Kotau vor Erdogan. Dabei wissen wir aus unserer ureigenen deutschen Geschichte, dass eine Appeasement-Politik genau das Gegenteil von dem bewirkt, was sie soll. Man kann das auch aktuell sehen, dass Putins Zorn sogar bei Erdogan etwas bewirkt hat.

Trotzdem war ich bis letzte Woche noch der Hoffnung, dass bei Vorliegen attraktiver Last-Minute-Preise man immer noch ohne weiteres Urlaub in der Türkei machen kann.

Aber das Wochenende hat vieles bei mir verändert. Obwohl wir deutsche Urlauber über Jahrzehnte gelernt hatten, dass man auch in Ländern mit Militärdiktatur getrost Urlaub machen kann, sieht man das heute etwas anders. Ein demokratisch gewählter Präsident, darf nicht durch einen Militärputsch gestürzt werden. Da waren sich am Wochenende auch alle Politiker einig. Vergessen wir mal kurz den Putsch gegen den gewählten Präsidenten Mursi in Ägypten, da haben wir mal kurz ein Auge zugedrückt.

Aber Erdogan lässt innerhalb von wenigen Stunden nach dem Putschversuch Tausende, wirklich Tausende, von Militärangehörigen, Richtern, Journalisten und deren Familienangehörigen verhaften. Entweder sind die türkischen Sicherheitsbehörden besonders schnell im Aufklären von Straftaten (dann sollten wir unseren Innenminister deMaiziere und unseren Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen zur Schulung schicken) oder, die Gelegenheit ist günstig, es werden bei dieser Gelegenheit alle Erdogan Kritiker „aus dem Verkehr gezogen“.
Da muss man auch als einfacher deutscher Urlauber mit nur wenig Geschichtsverständnis doch gleich an den Reichstagsbrand von 1933 denken, als schon am Folgetag (28.2.1933) mit der Reichtagsbrandverordnung die Weimarer Verfassung praktisch außer Kraft gesetzt wurde. Obwohl wir uns immer mit Nazivergleichen zurückhalten sollten, darf man hier Erdogan selbst zitieren, der Anfang dieses Jahres „Hitler-Deutschland als Beispiel für ein effektives Regierungssystem“ genannt hat. Wenn Erdogan einen Putsch mit fast 300 Toten als „Gottes Geschenk“ bezeichnet und von anstehender „Säuberung“ spricht, darf man (muss man) auch entsprechende Vergleiche ziehen dürfen.

Obwohl die EU inzwischen nicht mehr als Vorbild für eine Wertegemeinschaft dienen kann, muss die Ankündigung über die Einführung der Todesstrafe in der Türkei alle Türen zuschlagen. Insbesondere der Gedanke einer rückwirkenden Einführung lässt unser Rechtsempfinden kollabieren. Natürlich könntest Du, liebe Türkei, uns beim Thema Todesstrafe die USA entgegenhalten. Die wollen zwar nicht in die EU, sind aber die Lead-Nation bei der NATO.

Aber es gibt noch etwas, liebe Türkei, warum ich aktuell ein Problem mit Dir habe. Die Bilder, wie fanatische Türken, mit hasserfüllten Gesichtszügen und nacktem Oberkörper, mit Gürtel und anderem, auf am Boden liegende wehrlose Soldaten eingeprügelt haben gehen mir nicht mehr aus dem Sinn. Die dunklen Bilder in den Wochenendausgaben unserer Zeitungen wirkten auf mich eher wie mittelalterliche Schlachtengemälde, denn Bilder aus der Neuzeit. Das sind nicht meine türkischen Freunde.

Die Reiseveranstalter betonen (noch) zu recht, dass es in den klassischen Feriengebieten ruhig sei. Aber, Präsident Erdogan hat auch vorrübergehend den Militärstützpunkt Incirlik, auf dem u.a. deutsche Soldaten stationiert sind, schließen lassen, weil er dort führende Militärs verhaften ließ. Seit der Zeit frage ich mich, wann wird die erste Hotelanlage „vorrübergehend“ geschlossen werden, weil dort der Hotelmanager verhaftet wird.

Im Oktober 2016, soll die Tagung des Deutschen Reiseverbandes in Kusadasi an der türkischen Ägäisküste stattfinden. Das sollte ein Zeichen für mich und andere potenzielle Türkeiurlauber sein: da kann man hinreisen. Das sehe ich seit dem Wochenende anders. Es werden auf dieser Tagung auch viele türkischen Politiker und andere Offizielle Ansprachen halten. Nachdem was ich am Wochenende von türkischen Abgeordneten gehört habe, könnte das für unsere Ohren und unser Rechtsempfinden schwer erträglich werden. Wie will der DRV-Präsident darauf reagieren? Einfach laufen lassen? Oder das eine oder andere kommentieren? Dann kann er gleich mit Zusatzwäsche anreisen, falls sein Aufenthalt länger dauern sollte.

Liebe Türkei, das wollte ich Dir als deutscher Urlauber sagen. Ich wollte Dir nur versichern, auch wenn dieses Jahr weniger von uns kommen werden, wir haben kein Problem mit Dir als Land und auch nicht mit Euren Mitbürgern, die wir in den letzten Jahren in den Hotels kennenlernen und lieben durften. Wir haben nur ein Problem mit Eurem Präsidenten und mit Fanatikern.

Ich grüße als Tourist und hoffe auf bessere Zeiten.
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Mein Mitgefühl gilt auch den Opfern von Nizza.

Geschockt hat mich auch der tödliche Flugzeugabsturz von Thomas Wagner (und Oliver Schilling), dem Gründer und Macher von Unister. Dass er mit einem Koffer und Millionen an Bargeld unterwegs war, will ich hier aus Pietät nicht kommentieren. Um das Maß noch voll zu machen, wurde heute das Insolvenzverfahren für Unister Holding beantragt. Was das für die Gruppe und die Mitarbeiter bedeutet, bleibt abzuwarten.

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